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AutorenbildAnna Rebecca Menges

Erkenntnisse aus meiner heutigen Yoga-Stunde: Vom Fehler machen & einem (un)gesunden Perfektionismus


Heute früh war ich in einer Yoga-Stunde. Ja, sie war schön... aber, ich war die ganze Zeit beschäftigt, bin nicht so richtig in den Flow gekommen, habs nicht geschafft, mich ganz auf die morgendliche Yoga-Einheit einzulassen.


Warum?


Ja, das ist die Frage. Ich könnte es natürlich auf die Yoga- Lehrerin schieben. Aber, so leicht wollen wir uns das ja hier nicht machen.


Denn, ich kann die Taschenlampe auch auf mich werfen und beobachten, was mich so beschäftigt hat:


Alsoooooo, es war nicht zu übersehen, dass sie noch relativ neu war und etwas unbeholfen. Sie hat ihr Bestes gegeben und trotzdem war ich die ganze Zeit innerlich am Kritisieren. "Das könnte man besser machen, das hätte ich anders gemacht, lauter müsste sie auch sprechen und oh mann, ich komm garnicht in den Flow... etc." Ich war so weit, dass ich nach der Stunde zu ihr gehen wollte und ihr ein paar (Rat-)SCHLÄGE zu verpassen.


Und dann hab ich auf einmal Inne gehalten. Und realisiert, was ich da gerade veranstalte.


  1. Ich war nur am Kritisieren. Habe kein Wort über sie verloren, anstatt das Anzunehmen, was sie in dieser Stunde uns mitgegeben hat, war ich nur damit beschäftigt, Verbesserungsvorschläge zu finden und damit sicher nicht nur mir die Stunde versaut (ich konnte sie ja nicht wirklich genießen), sondern sicher auch ihr. Menschen spüren, wie du ihnen gesonnen bist. Selbst auf die Entfernung und ohne ein Wort zu sagen. Deine Ausstrahlung, dein Blick... alles spricht Bände.

  2. Ich habe ihr nicht erlaubt, etwas Neues anzufangen oder geschweige denn Fehler zu machen. Ich wollte, dass sie alles perfekt macht, ich habe von ihr erwartet, dass ihr Flow, ihre Unterrichtsart schon ausgereift ist, dass alles durchdacht ist, dass die Lautstärke passt und dass die Abläufe gut abgestimmt sind.

  3. Ich hatte das Gefühl, ich weiß es besser. Und so wollte ich sie danach auch "belehren" und ihr Tipps geben, die sie vielleicht garnicht gebraucht oder gewollt hätte. Und indem ich dieses Gefühl hatte, es besser zu wissen, habe ich sie sofort herab gestuft, habe ihr damit suggeriert, dass so, wie sie es macht, es nicht gut ist und dass sie es anders machen müsste.



WOW, wenn ich das jetzt nochmal so aufschreibe, ist das ganz schön unbequem. Aber, es ist notwendig, denn nur das bringt mich dann auch weiter, hilft mir, die ganze Situation neu zu betrachten und etwas daraus mitzunehmen und zu lernen.


Also, was habe ich daraus mitgenommen:


zu 1. So wie ich sie ständig kritisiert habe, mache ich das mit mir auch. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute. Als ich mich gestoppt habe und kurz mal durchgeatmet habe, ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen. Denn meistens behandeln wir die Anderen, wie wir uns selbst behandeln. Wir sprechen mit anderen, wie wir mit uns selbst sprechen. Wir haben nur so viel Mitgefühl mit anderen, wie wir es auch uns selbst gegenüber kultivieren können. Ständig bewerte ich meine Handlungen, meine Worte, selbst meine Gedanken. Und meistens bewerte ich sie nicht positiv, sondern (leider) negativ. Ich befinde mich in einer dauerhaften 'Bewertungsschleife', einem Käfig aus "Das hast du gut gemacht", aber v.a. eher ein "Wie dumm von dir", "Das war mega schlecht gerade" oder auch "Wie kannst du nur so sein, das nächste Mal machst du es besser". Ich könnte euch noch tausende Gedankenschleifen meines inneren Kritikers ausbreiten, die Liste es lang.


zu 2. In meiner Welt muss ich alles perfektionieren und darf ja keine Fehler machen! Dieser Zwang, alles immer perfekt zu können, dieser Drang, der perfekte Mensch zu sein, die perfekte Freundin, Mitbewohnerin, Tochter, Schwester etc. zu sein oder auch beruflich perfekt vorbereitet und qualifiziert zu sein, bestimmt mein Leben und macht vor allem eines: er macht mich kaputt.

Denn, was ist schon perfekt? Erstens mal sieht das jeder anders, jeder hat eine andere Vorstellung davon und das ist auch gut so. Zweitens nehme ich mir damit die Möglichkeit, Dinge auszuprobieren und vor allem Fehler zu machen. Wir alle lernen ständig und überall. Wir lernen neue Sprachen, neue Fähigkeiten, vielleicht ein neues Instrument oder eine neue Sportart, egal was, wir lernen. Und dieses Lernen funktioniert nur dann, wenn man etwas erstmal NICHT kann, wenn man sich etwas aneignet, wobei man mit tausendprozentiger Sicherheit auch FEHLER machen wird. Und indem ich Fehler machen so verurteile, halte ich mich gleichzeitig auch zurück, probiere weniger Dinge aus, lerne weniger Menschen kennen, erfahre weniger Neues, weil die Angst, dass ich dabei einen Fehler mache, zu groß ist.


zu 3. Ok, das ist vielleicht der unangenehmste Punkt, denn, wer möchte sich schon (öffentlich) eingestehen, dass ein Besserwisser in einem steckt.. ich denke, fast niemand. Aber, das gehört eben auch zu mir. Also: in mir steckt eine Besserwisserin. Und, wenn ich mir diesen Persönlichkeitsaspekt nicht ins Bewusstsein hole, laufe ich Gefahr, Menschen nicht auf Augenhöhe zu begegnen, mein Gegenüber nicht zu respektieren und mich unnötig zu verletzen oder auch Grenzen zu überschreiten.

Zum Einen hindert mich das Gefühl, etwas besser zu wissen oder gar im Recht zu sein, daran, andere Sicht- oder Herangehensweisen zu akzeptieren, wertzuschätzen oder gar meinen Horizont zu erweitern und diese Dinge auch in mein persönliches Repertoire mit aufzunehmen. Es hält mich davon zurück, neue Erfahrungen zu machen und kreiert gleichzeitig eine gewisse Distanz zwischen mir und meinem Gegenüber. Eine Schlucht, die es dann zu überwinden gilt. Was sich häufig, wenn sich zwei Besserwisser begegnen (was in jedem von uns steckt, ob wir es wahrhaben wollen, oder nicht), als herausfordernd oder zäh darstellt. "Nein, ich weiß es besser." "Nein, ich." - "NUR so ist es richtig, nicht anders." macht Fronten und damit sind wir schon im (kleinen) Krieg miteinander. Was da im Kleinen zwischen uns passiert, passiert im Großen genauso. Überall auf der Welt können wir beobachten, wie sich Besserwisser begegnen, sich gegenseitig belehren oder überzeugen wollen und wenn es notwendig ist, auch zu Gewalt greifen, um ihre Überzeugung, ihre Vorstellung von besser durchzusetzen.

Zum Anderen Ich habe doch tatsächlich die Hälfte der Zeit damit verbracht, mir zu überlegen, welche Teile der Stunde ich verbessern würde und wie ich ihr das sagen kann. Mein Drang, ihr danach Tipps zur Verbesserung ihrer Stunde zu geben, war immens. Und (gottseidank) habe ich das rechtzeitig erkannt und mich stoppen können. Denn wir vergessen in solchen Momenten häufig, dass ungefragte Kritik, RatSchläge oder Tipps eben auch Schläge sein können. Vielleicht war es eine ihrer ersten Stunden, vielleicht hatte sie total Angst, war sehr aufgeregt, vielleicht war es ihr totales Herzensanliegen und sie hat all ihre Energie dort hinein gesteckt und dann kommt da jemand wie ich an und erzählt ihr von Dingen, die anders hätten sein können. Und ich spreche da bewusst von anders und nicht besser, denn: Wer sagt denn, dass mein Besser das Besser der Anderen ist? Wer sagt denn, dass meine Herangehensweise DIE EINE ist und allgemeingültig ist? NIEMAND, denn: das ist sie nicht. Wir sind so viele Individuen auf dieser Welt und damit haben wir auch viele verschiedenen Interessen, Haltungen, Werte und persönliche Empfindungen. Was für mich die beste Therapeutin der Welt ist, kann für eine Freundin ein totaler Reinfall sein.

Auf jeden Fall kann ich mit meinen Worten, Taten und Haltung verletzen. Ich verletze, in dem ich die Mühe des anderen nicht wertschätze, ich verletze, in dem ich ungefragt kritisiere und ich verletze, in dem ich meinem Gegenüber (nonverbal) suggeriere, dass seine/ihre Art in meinem Augen nicht gut ist und anders sein müsste.



Und so bin ich heute aus der Yoga-Stunde mit ganz schön vielen (neuen) Erkenntnissen über mich und die Welt heraus gestapft. Und vielleicht findest du dich ja in dem ein oder anderen Satz wider und kannst in deinem Alltag auf die Suche danach gehen.


Denn - wenn wir mehr Bewusstsein für uns selbst kultivieren, können wir uns auch bewusst dafür entscheiden, neue Wege einzuschlagen, unsere Mitmenschen anders zu behandeln, ihnen mehr Wertschätzung entgegen zu bringen und damit für mehr Frieden und Liebe auf dieser Welt zu sorgen.


Wir dürfen nie vergessen, alles fängt bei uns an und bevor wir den Finger auf andere richten, müssen wir ihn auf uns richten.

Und wenn ich es nicht aushalte, dass jemand anderes sich Dinge erlaubt, die ich mir nie vorstellen könnte oder ich verurteile, dann ist es meine Aufgabe, als erstes nach Innen zu kucken und zu erkennen, dass meine Urteile und Bewertungen

1. mein Problem sind,

2. für mich zählen und nicht für die anderen,

und meistens

3. mir mehr Leid als Freiheit schenken.


In diesem Fall war diese Yoga-Stunde das größte Geschenk und eine riesen Chance für mich, zu erkennen, dass ich mir Fehler machen nicht erlaube und meine Perfektionismus-Gedanken und Ansprüche mich eher herunter ziehen, als dass sie mich wirklich weiter bringen würden.

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